Blog 6 – Bücher lesen vs. Hintern waschen

“Könnte Pflege nicht etwas für dich sein?” fragte meine Mutter mich, als wir den Studiengang Rechtswissenschaften auf dem Tag der offenen Tür die Hochschule besuchten. Wir gingen an den Pflege-Klassen vorbei, die wie ein Krankenhaus eingerichtet waren. Mit Pflegebetten und Puppen, die einen Arm oder ein Bein vermissten. Ich erinnere mich noch gut daran, dass mich die Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers immer interessiert hatte. Und nachdem ich viel HOUSE geschaut hatte, dachte ich, dass ich schon einiges darüber wissen würde! Aber das Hintern waschen… das schien mir doch eine Herausforderung zu sein. Also gingen wir zu jemandem am Stand “HBO Pflege” und erkundigten uns über das Studium. Die ersten Fragen, die ich stellte, waren: “Muss man auch Hintern waschen?” und “Muss man sich gegenseitig spritzen lernen?” Die Antworten waren ja und nein. Ich war schon froh, dass ich mir nicht von einem Kommilitonen eine Nadel in den Arm stechen lassen musste, und beschloss kurz darauf, dass ich auch gut mit dem Hintern waschen leben könnte. Nach einigen Gesprächen und Studienwahltests schienen meine Fähigkeiten gut zu den Qualitäten zu passen, die man als Krankenpfleger haben sollte. Ich las mich weiter ein und traf einen Tag vor der Anmeldungsfrist meine Entscheidung. Das Studium der Rechtswissenschaften, aka Bücher lesen, war aus dem Rennen. Ich meldete mich für das Pflegestudium, aka Hintern waschen, an. Rückblickend war es eigentlich eine Wette.

Rückblickend hatte ich ein falsches und vor allem begrenztes Bild von dem, was Pflege genau bedeutet, und das merke ich auch oft in meinem Umfeld. Zunächst möchte ich sagen, dass ich definitiv Hintern gewaschen habe. Und ich tue es immer noch ab und zu. Aber 1) man gewöhnt sich daran und 2) es passiert mir nicht so oft.

Stellen Sie sich vor, Sie waschen gerade jemanden. Sie sorgen nicht nur dafür, dass jemand sauber ist. Nein, Sie schauen auch, was die Person noch selbst tun kann, Selbstständigkeit. Wie wirkt es sich auf jemanden aus, dass er/sie Hilfe benötigt, der psychologische Aspekt. Sie betrachten die Haut, wie sieht sie aus? Gibt es Flecken? Was sind das für Flecken und wie sind sie dort hingekommen? Sie sind ständig am klinischen Denken. Darüber hinaus führen Sie Gespräche, um den Patienten besser kennenzulernen. Sie stimmen die Pflege so weit wie möglich auf die persönlichen Vorlieben des Patienten ab. Und all das schafft eine Bindung. Darüber hinaus gibt es noch viele andere Dinge, denen Sie Ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie führen manchmal pflegerische Maßnahmen durch. Dies erfordert aktuelles Wissen über Richtlinien und manchmal etwas Kreativität. Sie dokumentieren Befunde und tragen sie an Kollegen weiter. Sie beziehen bei Bedarf andere Fachrichtungen mit ein und sind oft das Bindeglied zwischen Patient und behandelndem Arzt. Kurz gesagt, Sie koordinieren die Pflege und betrachten das Gesamtbild. Dann ist das Waschen dieser Hintern plötzlich nur noch ein sehr kleiner Teil. Natürlich können die Aufgaben in anderen Pflegebereichen wieder unterschiedlich sein, aber ich hoffe, dass ich das Konzept des bloßen Hintern Waschens ein wenig entkräften konnte. Pflege ist ein wunderschöner Beruf, und jeder Tag ist anders. Der Kontakt mit Menschen führt dazu, dass man immer weiter lernt und Dinge aus anderen Perspektiven betrachtet. Ich bin froh, dass ich damals nicht die Wahl getroffen habe, Jura zu studieren, denn das wäre wohl nichts für mich gewesen. Dass es nicht nur Bücherlesen ist, weiß ich inzwischen. Vielleicht kann mir jemand gerade darüber noch mehr erzählen!

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