Blog 4 – Hier tue ich es für

Fünf Minuten nach neun. Die Neurologen und der Physician Assistant betreten das Teamzimmer. Die Morgenbesprechung hat begonnen, aber dieses Mal läuft es etwas anders als üblich. “Es liegt ein Umschlag in deinem Postfach, Robin, hast du das schon gesehen?” fragt der Physician Assistant mit ernster Miene. “Ähm… nein, was ist denn darin?” Ich erschrecke, obwohl ich glaube, dass ich nichts zu befürchten habe. “Ich sollte dir einen persönlichen Umschlag von Herrn X geben.” “Oh, ich schaue mir das gleich an.” Alle Augen sind auf mich gerichtet. Es fällt mir immer noch kein Licht auf. Dann sagt der Neurologe: “Herr X sagte, dass er eine besondere Verbindung zu dir hat.” Mein Puls beruhigt sich wieder. Das klingt positiv. Dann fügt die andere Neurologin hinzu: “Ja, genau, er sprach sehr positiv über dich.” Ich lächle und zucke mit den Schultern, als ob ich sagen wollte ‘ich bin gespannt’, und wir fahren mit den Tagesordnungspunkten fort.

Während ich einige Werte und Beobachtungen weitergebe, beschäftige ich mich mit dem Umschlag. Ich werde langsam neugierig… Nach einer Woche auf der Station wurde Herr X entlassen, ohne dass ich mich von ihm verabschieden konnte. In dieser Woche haben wir viele Gespräche über seine schwere Vergangenheit geführt und den Kummer, den er deswegen jeden Tag erlebt. Er erzählte mir auch, dass er ein Buch über sein Leben schreiben wollte. Wir haben einige Ideen ausgetauscht, die er zu schätzen schien. Nach einem unserer intensiven Gespräche über seine Kindheit fragte ich ihn, ob ich die Informationen, die er mir gegeben hatte, an meine Kollegen weitergeben dürfte. Es fühlte sich nicht richtig an, sie ohne seine Zustimmung in seine Akte zu schreiben. Mein Kollege fand diese Frage “riskant”. “Was wäre, wenn er nein gesagt hätte? Dann hättest du es nur für dich behalten…” Ja, da hatte er einen Punkt. Trotzdem bin ich froh, dass ich es so gemacht habe. Glücklicherweise gab Herr X seine Zustimmung und das Problem war somit umgangen.

Als mein Kollege die Übergabe von mir übernimmt, kann ich es nicht lassen, meinen Bürostuhl zu meinem Postfach zu rollen. Ich hole den Umschlag heraus. ‘VERTRAULICH’ steht darauf. Im Umschlag befindet sich ein Brief. Herr X bedankt sich in seinem Brief für mein “offenes Ohr und das Feedback, das ich ihm gegeben habe”. Herr X möchte wissen lassen, dass er eine Verbindung zu mir spürt und dass ich eine Bereicherung für ihn war. Was für ein schönes Kompliment. Hier tue ich es also für!

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